von Jan Pisar

„Da kann man nichts machen, ist der gottloseste aller Sätze.“
Dorothee Sölle (evangelische Theologin und Dichterin † 2003)

2019 wlt plakatSonntag 21. Juli 2019 kurz vor halb zehn Vormittag. Im Schongau steige ich vom Flixbus aus. Ich bin in Bayern und ich will erstmals am Wohnungslosentreffen teilnehmen. Das Treffen findet im nahen Ort Hezogsägmühle statt und dauert eine Woche.

Vor 125 Jahren wurde in Herzogsägmühle eine Arbeiterkolonie für heimat- und wohnungslose Männer eingerichtet. Heute wird sie vom Verein „Innere Mission München“ der Diakonie in München und Oberbayern getragen. Derzeit stellt sich Herzogsägmühle als Ort der Hilfe, Ort zum Leben und auch Ort der Diakonie vor. Das bedeutet individuelle Begleitung der Hilfeberechtigten in Bereich Entwicklung der Persönlichkeit bei Behinderung, Obdachlosigkeit, Suchterkrankung, Arbeitslosigkeit, Alter Pflege u.v.m. Dazu gehören nicht nur Beratungsdienste, Tagesstätten, Therapieanstalten, Arbeitsmöglichkeiten oder Wohnungen, sondern auch Schul- und Ausbildungsplätze. Wer durch Herzogsägmühle Unterstützung erfährt, ist darauf angewiesen, als gleichwertige Mitbürgerin und als gleichwertiger Mitbürger geachtet zu werden.

Ich habe anfangs gedacht, dass es handelt sich nur um ein Spektakel, wie z.B. verschiedene Armutskonferenzen, wo zeigt man der Welt Interesse mit Problem zu befassen, aber keine konkreten greifbaren Ergebnisse rauskommen. Der Verlauf der Veranstaltung hat mich aber vom Gegenteil überzeugt.

Schließlich waren wir am Wohnungslosentreffen circa hundert Teilnehmer_innen. Die meisten aus Deutschland, aber es kamen auch Leute aus Dänemark, Österreich, Ungarn und noch eine junge Frau aus Peru.

Von wohnungslosen Menschen erstellt. Das Programm des ganzen Wohnungslosentreffen war umfangreich und von den wohnungslosen Menschen selbst erstellt. Es wurden Workshops zu verschiedenen Themen angeboten, in denen wir uns in ungezwungener Atmosphäre austauschen und nach Lösungen suchen konnten. Das Wohnungslosentreffen 2019 ist das insgesamt vierte Treffen, das erstmalig in Herzogsägmühle in Bayern stattfand.
Die Dänen stellten Initiative HOPE vor. HOPE – (Hoffnung) Homeless People in Europe (www.homelessineurope.eu) ist eine gemeinnützige NGO. Diese Netzwerkorganisation hat das Ziel, für Menschen ohne Obdach und gegen Obdachlosigkeit in Europa tätig zu sein. HOPE wird sich an der Europäischen Bürgerinitiative „Housing For All“ (www.hosingforall.eu) beteiligen und ruft alle mit HOPE verbundenen Gruppen dazu auf, das ebenfalls zu tun. Eine weitere Forderung der Organisation ist, dass in allen europäischen Ländern eine Wohnungslosenbericht erfolgt und diese Erhebung soll mit vergleichbaren Methoden und Kriterien durchgeführt werden.

Die ungarischen Teilnehmer interessierten sich am meisten für diese Initiative. Alle sind Verkäufer_innen der Zeitung Fedél Nélkül (Ohne Obdach) aus Budapest.
Regina aus Österreich nahm meistens an der Arbeitsgruppe Teil, die sich der Problematik der wohnungslosen Frauen widmete. „So lange Frauen wesentlich weniger verdienen, werden immer mehr Frauen und Mütter Probleme haben, angemessenen Wohnraum für sich und ihre Kinder zu finanzieren. Trennung oder Tod des Partners führen verstärkt zu Verarmung und Wohnungsverlust.“ schrieb man in die gemeinsame Abschlusserklärung.
Frieden ist Folge der Gerechtigkeit. „Suche Frieden und jage ihm nach!“ Dieser biblische Text aus Psalm 34 war Grundlage für Bibelarbeit, an der ich selbst teilnahm. „Frieden ist Folge der Gerechtigkeit und das kann man nicht auseinandertrennen.“ Unter anderen auch diese Worte wurden bei der Auseinandersetzung mit der Bibel ausgesprochen.

Vorbeugen ist besser als heilen, und auch billiger. Das gilt auch für Obdachlosigkeit. Das war Thema der Arbeitsgruppe mit dem Arbeitstitel „Aktionen und Kampagnen wohnungsloser Menschen“. Allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen waren anzumerken, dass wohnungslose Menschen sich an der Lösung von Problemen mit Obdach- und Wohnungslosigkeit gerne beteiligen.

2019 wlt pressegespraech„Alles verändert sich, wenn wir es verändern!“ das ist das Leitmotiv des ganzen Treffens. Selbstvertretung: wohnungslose Menschen können mit eigener Stimme sprechen. Das heißt mit uns, anstatt über uns reden. Es geht auch darum, die eigenen Bürgerrechte wahrzunehmen. Dazu gibt es in Deutschland eine Koordinierungsstelle in Freistatt (Niedersachsen). Diese Plattform engagiert sich füreinander und miteinander. Was soll nach diesem Treffen folgen? Aufbau von regionalen Gruppen, die Sichtung möglicher Rechtsformen sowie Austausch, Vernetzung und die Planung gemeinsamer Aktionen. Ganz schöne Internetseiten über sämtliches Werk dieser Interessengruppe befinden sich unter www.wohnungslosentreffen.de. Ich finde diese Initiativen als ein nachahmenswertes Beispiel, denn nicht nur im Deutschland müssen Leute gegen Armut, Ausgrenzung, Missbrauch, Entrechtung oder Wohnungslosigkeit kämpfen.“

Auch die Unterhaltung kam nicht zu kurz. Musikgruppen, Dokumentarfilme, eine Grillparty mit dem ganzen Dorf, Vortrag mit Diapositiven oder Theater – jeden Tag stand etwas auf dem Programm. Auch Speise und Getränke waren auf sehr gehobenem Niveau. Mein Dankeschön. Das Wetter war schön. Nur bei unserer Abreise regnete es. Sicher auch den Himmeln tut es leid, dass diese wohlgeratene Veranstaltung schon zu Ende ist.

(Augustin – Erste österreichische Boulevardzeitung, Nummer 488, 28. 8. – 10. 9. 2019 Seite 39)

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