Baracken auf Dächern in Hongkong, Quelle: WikiCommonsAuf Lob, aber auch auf Kritik stieß bei den Teilnehmenden von der Selbstvertreung wohnungsloser Menschen der Online-Housing-First-Fachtag Düsseldorf am Mittwoch, 11.11.2020, 10:00 - 16:00 Uhr. Lest hier den Bericht von Markus (Neumünster) sowie den gemeinsamen Beitrag von Dirk (Freistatt) und Swen (Heilbronn). Lest hier die Berichte hier nachfolgend und auf der Webseite

Menschen aus der Selbstvertretung stören nur?

Markus Matthiesen: Meine Eindrücke von des Fachtages (Online- Konferenz) über Housing First, 11.11.2020, 10-16 Uhr

Es waren sehr viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Start, viele Profis, aber nur wenige Betroffene. Zu Beginn haben einige Offizielle Grußworte gegeben, die man über sich ergehen lassen musste. War schon spannend, dass die Vertreterin des Sozialministeriums NRW mit ihrem Computerzugang nicht klarkam: Ihre Stimme war nicht zu hören. Nach einigem Hin und Her ist sie dann an den Apparat (Computer) eines benachbarten Kollegen gewechselt. Dann wurde ich mit zwei anderen Teilnehmerinnen in einem Chatraum zusammengewürfelt. Beide waren sehr daran interessiert, ihr Projekt, für das sie arbeiteten, vorzustellen. Als ich mich als Mitglied der Selbstvertretung geoutet habe, stieß das auf Desinteresse. Ich habe versucht, mich durchzusetzen, um auch zu Wort zu kommen. Das gelang begrenzt, aber ich stieß kaum auf offene Ohren.

Der Fachtag war so organisiert, dass man als Zuhörer im Plenum faktisch nichts sagen konnte. Zu Wort kamen ausschließlich die Leute, die im Ablaufplan des Fachtages namentlich genannt wurden. Wenn jemand eine Frage hatte, musste er sie im Chat schriftlich stellen. Mir wurde klar, dass überhaupt keine Möglichkeit zur Diskussion bestand, als ich an der “Diskussion” (so stand es im Ablaufplan) teilzunehmen. Auch hier fand das Gespräch zwischen den etablierten Herrschaften statt. Es stand wieder nur der Chat zur Verfügung. Als mir klar wurde, dass man auch hier den Menschen von der Selbstvertretung keine Stimme geben wollte, habe ich mich, nach einer entsprechenden Beschwerde im Chat (“Das ist ja gar keine Diskussion hier”) aus dem Fachtag ausgeklinkt.

Der Hauptvortrag von Juha Kaakinen vom Vormittag war sehr interessant, und man konnte den auf englisch gehaltenen Vortrag auf Deutsch schon vorher lesen. Finnland wurde als das einzige europäische Land vorgestellt, dem es gelungen ist, Wohnungs- und Obdachlosigkeit nennenswert zu reduzieren. Für mich war insbesondere die Idee, staatlicherseits Wohnungen auf dem Freien Wohnungsmarkt zu kaufen, aus dem Wohnungsmarkt rauszunehmen und an Wohnungslose/Obdachlose zu vermieten, interessant, und auch ganz neu. Überall wird darüber geredet, dass zu wenig Sozialwohnungsbau gemacht wird, dass man aufgrund des deutschen Baurechts keine Wohnungen wirtschaftlich bauen kann u.s.w. - Ich muss sagen,dass auch ichnur in diesen Kategorien des Wohnungsbaus für eine bestimmte “Klientel” gedacht habe. Ich bin gar nicht auf die einfachste Lösung gekommen, nämlich dass der Staat Wohnungen kauft und aus dem Wohnungsmarkt rausnimmt.

Auf diese Weise könnte man Wohnungs- und obdachlose Menschen gut in “die Gesellschaft integrieren”, weil eine Ghettobildung vermieden würde. Ich dachte also an die Situation in Deutschland, mit den vielen Wohnungslosen und Obdachlosen, und dass man durch den Kauf von Wohnungen Menschen schnell und nachhaltig, ohne viel zu diskutieren, nachhaltig helfen könnte. Deshalb habe ich Juha im Chat die Frage gestellt, wieso denn die Idee, Wohnungen aus dem Wohnungsmarkt herauszukaufen und wohnungslosen Menschen preiswert zur Verfügung zu stellen, mit dem Konzept des “Housing First” verknüpft wird. Bei Wohnungsmangel, aufgrund dessen Menschen auf der Straße liegen, kann diese Idee doch gar nicht so fern liegen, habe ich mir gedacht, und im zweiten Teil der Frage (an die genaue Formulierung kann ich mich nicht mehr erinnern) habe ich die Situation in Deutschland kritisiert, wo man immer nur davon redet, dass zu wenig Wohnungen da seien, dass es kaum Wohnungsbau in diesem preisgünstigen Segment gebe u.s.w., dass man aber keine Wohnungen, die im Wohnungsmarkt zur Verfügung stehen, herauskauft und der Spekulation (die meisten privaten Eigentümer spekulieren ja auf hohe Mieten) entzieht.

Die Moderatorin Andrea Blome hat aber nur den ersten Teil meiner Frage vorgelesen, den zweiten kritischen Teil einfach weggelassen. Der Teil meiner Frage, der die Zensur von Frau Andrea Blome passierte, wurde Herrn Kaakinen übersetzt, worauf er dann antwortete. (Antwort kann ich schlecht erinnern, weil ich ganz mit meiner Wut über die Cancel Culture der Frau Blome beschäftigt war). Warum wird die Idee, Wohnungen aus dem Wohnungsmarkt rauszukaufen, mit dem “fortschrittlichen” Labelprojekt “Housing First” verknüpft? Warum ist das nicht eine Standardantwort auf Probleme auf dem Wohnungsmarkt? Diese Frage ist mir nicht beantwortet worden, weil durch die “Moderatorin” Frau Blome verschwiegen.

Ich habe daraufhin, nachdem ich eine entsprechende Beschwerde im Chat hinterlassen habe, für den Vormittag aus der Veranstaltung ausgeklinkt. Nach der Mittagspause wurden wieder TeilnehmerInnen, angeblich per Zufallsgenerator, zusammengewürfelt. Ich hatte diesmal den Eindruck, da ich mich mit Dirk und einem lockigen jungen Mann und noch einer Dame imTeilchat wiederfand, dass dies nicht ganz zufällig war. Dirk und mir sollte wohl ein Gesprächsparter anheim gestellt werden, der unsere Fragen in einem exclusiveren Setting beantwortet. Weil ich die Dinge, die kompliziert dargestellt werden, so dass sie nur die Eingeweihten verstehen (die damit ihr Geld verdienen), gern einfach sehe, habe ich gesagt, dass Housing First einfach nur die Idee ausdrücke, wohnungslosen Menschen dadurch zu helfen, dass man ihnen in einem ersten Schritt eine Wohnung gibt, und dass alle anderen Hilfsmaßnahmen danach kommen. Aktuell müssten Wohnungslose (ohne “Housing First”) einen langen Weg bis zur eigenen Wohnung zurücklegen, einen Weg mit vielen Entbehrungen, ​ der die Menschen doch auch verändert !​ Mehr sei das doch eigentlich nicht. - Natürlich stieß ich damit wieder nicht auf offene Ohren, da man die Dinge gern kompliziert sieht, von “Leuchtturmprojekten” redet u.s.w. Klar, die Leute verdienen ihr Geld ja in einem komplexen Rahmen, der Professoren erfordert, Hochschulausbildung. Und deshalb brauchen die komplizierten Leute weiterhin die Obdachlosen, damit sie weiterhin über Obdachlosigkeit reden können und ihr Geld damit verdienen. Menschen aus der Selbstvertretung hält man aus diesem Spiel am besten heraus, die stören nur, und man versteht sie sowieso nicht.

Zusammenfassend kann man sagen, dass hier die Manipulationsmöglichkeiten, die die Online- Zoom- Konferenz bietet, durch die Moderation nach eigenem Ermessen genutzt wurden. Bei einer Präsenzveranstaltung wäre eine solche Exklusivität nicht möglich gewesen. Auch nach Corona könnten die technischen Möglichkeiten, die Online-Konferenzen bieten, durch interessierte Kräfte genutzt werden, um kritische Stimmen auszuschalten. Das ist für viele sicher sehr verlockend, und so könnten solche Webinare eines der Elemente eines autoritären Systems werden.
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Wie eine Moderation einer Onlinekonferenz gelingt, konnte ich am selben Tag in einer Veranstaltung der Böll- Stiftung erleben. Der Moderator Matthias Coers machte seinen Job bei dem Seminar “Ohne Wohnung keine Bleibe – Obdachlos und rechtelos in Zeiten von Corona?”​ ​ hervorragend, ließ alle zu Wort kommen, ging mit großer Sensibilität auf die menschen zu, und war immer darum bemüht, technische Schwierigkeiten einzelner Teilnehmer, so sie denn aufgetreten sind, zu überwinden.Ich denke, es war das am besten moderierte und am besten ablaufende Online- Seminar, an dem ich bisher teilgenommen habe.

Neumünster, 13.11.2020
Markus Matthiesen

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Housing-First kann nur Ergänzung sein kann, so lange sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht ändert.

Dirk Dymarkski/ Swen Huchatz: Eindrücke vom Fachtag am 11.11.2020 in Düsseldorf

Der geplante Fachtag von Housing First in Düsseldorf wurde in eine Online Veranstaltung geändert, so hatten sehr viele Menschen die Möglichkeit sich über das Housing First Modell und über Housing First Fonds zu informieren.

Zu Beginn der Online Veranstaltung gab es eine Umfrage an die Teilnehmer*innen. Daraus war zu erkennen das die meisten Teilnehmer*innen im sozialen Bereich arbeiten. Ebenso wurde daraus ersichtlich, dass viele Teilnehmer*innen, zwar schon von Housing First gehört hatten, jedoch wenig detaillierte Informationen haben. Der Fachtag zum Housing First war sehr informativ und erlaubt so, dass ein oder andere zu loben aber auch zu kritisieren.

Das positivste und einzigartige an Housing First ist, dass dort den Menschen ohne Wohnung geholfen wird, die aus allen anderen Versorgungssystemen und Hilfsangeboten herausfallen oder herausgefallen sind. Ebenso gibt es Menschen ohne Wohnung, die wegen der diskriminierenden Gesetze, in den anderen Hilfsangeboten nicht berücksichtigt werden.

Die Umsetzung vom Berliner Housing First Modell ist dabei hervorzuheben, denn die Berliner verzichten als einzige auf andere unterstützende Finanzierungen, um Menschen nach dem Konzept und der Grundidee des Housing First einen Wohnraum zu organisieren.

Mit Housing First kann der Stigmatisierung obdachloser Menschen entgegen gewirkt werden. Die Hemmschwelle potentieller Vermieter*innen begünstigt eine annähernde Gleichbehandlung.

Bei allen anderen angeschlossenen Housing First Projekten ist es bisher nicht gelungen, auf die unterstützenden Finanzierungen durch andere Sozialgesetze zu verzichten. Den potentiellen neuen Mieter*innen wird jedoch angeboten die Hilfen nach §§ 67,68 ff freiwillig anzunehmen.

Seit beginn des Housing First Projekts konnten in NRW nur 74 Wohnungen für obdachlose Menschen organisiert werden.
Ein weiteres Problem ist, dass die Wohnungen nicht direkt an die Wohnungssuchenden vermietet werden. Es gibt sehr viele Untermietverträge.
Es braucht da zusätzliche Strukturen, die dann Wohnungen mieten und Häuser kaufen. Das ist eigentlich nicht die Grundidee vom Housing First.

Es wird auch deutlich, dass es nur eine Ergänzung sein kann, so lange sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht ändert. Es braucht deutlich mehr bezahlbaren Wohnraum.
Einige betroffene Menschen waren zu dem Fachtag eingeladen, konnten jedoch nur eingeschränkt mitarbeiten.

Geschrieben von :

Dirk Dymarski und Swen Huchatz

Mitglieder Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e. V.

Foto: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sham_Shui_Po_rooftops.JPG:Sham_Shui_Po_rooftops.JPG

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