2020.04.22. BERLIN – 10 Punkte Soforthilfeplan

#LeaveNoOneBehindNowhere [Anmerkung #]

Obdachlose und wohnungslose Menschen mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte schützen jetzt – drohende Katastrophen verhindern!

2020.04.23_BERLIN_Wohnunglosigkeit_Soforthilfeplan.pdf

2020.04.26_Corona_Soforthilfeplan_Flyer_Onlinepodium.pdf

Berlin - 10 Punkte Nothilfeplan

An
Elke Breitenbach, Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales
Dilek Kalayci, Senatorin für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung

Zur Kenntnisnahme an den Regierenden Bürgermeister, an die Bezirksbürgermeister*innen, an den Finanzsenator Matthias Kollatz und die Fraktionen von CDU, FDP, LINKEN, Grünen und SPD im Abgeordnetenhaus von Berlin.

Wir fordern die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales sowie die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung auf, umgehend einen schnellen Soforthilfeplan zur geeigneten Unterbringung obdachloser und wohnungsloser Menschen mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte zum Schutz vor der Coronapandemie umzusetzen, die den Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes und des Arbeitsministeriums für Sammelunterkünfte entspricht. Dazu müssen ungeeignete Massenunterkünfte geschlossen und stattdessen Ferienwohnungen, Businessapartments und Hotels genutzt werden. Zur Umsetzung muss auch unverzüglich die schon lange geplante gesamtstädtische Steuerung zur bedarfsgerechten Unterbringung wohnungsloser Menschen realisiert werden.

Wir laden Elke Breitenbach, Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, sowie Dilek Kalayci, Senatorin für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung zu einem Onlinepodium zu unserem 10 Punkte-Soforthilfeplan am Mittwoch, den 29.04.2020 um 10:30 Uhr ein.

 Berlin, 22.04.2020, 00:00 Uhr

1. Das Problem

In Berlin sind mindestens 50.000 [Beleg 1] wohnungslose Menschen mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte in zwangsgemeinschaftlichen Massenunterkünften untergebracht. Weitere tausende Menschen sind obdachlos auf der Straße: 1.976 wurden in der sogenannten „Nacht der Solidarität“ am 29.01.2020 erfasst, die tatsächliche Zahl ist weitaus höher, weil viele obdachlose Menschen nicht aufgefunden wurden oder sich bewusst der Zählung entzogen haben.

Auf der Straße lebende Menschen sind im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie eine medizinisch hoch gefährdete Bevölkerungsgruppe mit eingeschränktem Zugang zum Gesundheitssystem. Verschärfend kommt hinzu:

  • Die Essensversorgung durch Tafeln und Suppenküchen ist stark reduziert,
  • Einnahmen durch Flaschensammeln, Betteln oder Zeitungsverkauf sind kaum noch zu erzielen,
  • Hygieneregeln sind so gut wie gar nicht einzuhalten.
  • Weil Einrichtungen geschlossen sind, fehlen Duschgelegenheiten
  • Der Zugang zu WLAN und Internet und das Aufladen von Smartphones ist kaum noch möglich, die Kommunikation wird extrem eingeschränkt.
  • Rassistische Übergriffe gegen Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte und ohne Obdach haben sich nach Berichten von Opfern vermehrt.

„Stay at home!“ ist für auf der Straße lebende Menschen nicht möglich.

Eine Übertragung von Corona-Viren ist durch die besonderen Bedingungen in den Einrichtungen für untergebrachte wohnungslose Menschen mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte kaum einzudämmen, Sammelunterkünfte sind in dieser Situation eine Katastrophe.

Die Kältehilfe und Massenunterkünfte für Wohnungslose mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte bieten keinen ausreichenden Pandemie-Schutz. Sie dienen im Gegenteil sogar als Brandbeschleuniger zur rapiden Virusverbreitung. Mehrbettzimmer, Gemeinschaftsküchen, Speisesäle und gemeinsame Sanitäranlagen sind in dieser Situation unzumutbar. Die Unterbringungen auf engstem Raum verunmöglichen die Corona-Verordnung von Berlin umzusetzen z.B. einen Abstand von mind. 1,5 m einzuhalten.

Quarantänemaßnahmen in zwangsgemeinschaftlichen Massenunterkünften, die damit einhergehende Gefahr der weiteren Ausbreitung des Virus unter den Bewohner*innen und die daraus resultierenden berechtigten Ängste der betroffenen Menschen sind ein soziales Pulverfass, in dem massive (Re)Traumatisierungen, Gewalttaten und Übergriffe drohen.

Auf der anderen Seite gibt es aus der Zivilgesellschaft viele spontane, kreative und unkonventionelle Ansätze, obdachlose Menschen zu unterstützen. Das sollte unterstützt aber auch kritisch begleitet werden. Was nützt der beste Gabenzaun, wenn es keine Unterbringung im Einzelzimmer gibt?

Seit unserer gemeinsamen Pressemitteilung Menschenleben schützen! Massenunterkünfte auflösen! Wohnungen statt Lager! vom 07.04.2020 [Beleg 2] ist in Berlin wenig passiert.

Politik, Verwaltung, Träger der Wohnungslosenhilfe und die Zivilgesellschaft sind aufgefordert, jetzt gemeinsam zu handeln. Wir haben den Eindruck, dass viele Menschen, die in Politik und Behörden Verantwortung tragen, in diesen Krisenzeiten einfach abgetaucht sind, statt erreichbar zu sein und Initiative zu ergreifen.

Wir können nicht warten, bis die Zahl der Ansteckungen in den Massenunterkünften und auf der Straße explodiert und wohnungslose Menschen aufgrund ihrer besonderen Lebenslage mit dem Tod bedroht sind und somit der bisherige Erfolg der Pandemiebekämpfung für alle in Frage gestellt wird.

Das bisherige Krisenmanagement des Senats für Sammelunterkünfte und Obdachlosenunterbringung hat schwerwiegende Mängel, wie zahlreiche Beispiele zeigen.

 2. Was jetzt zu tun ist

Wir möchten mit unserem 10 Punkte Plan konkret erläutern, was in Berlin jetzt geschehen muss, um obdachlose und wohnungslose Menschen mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte umgehend zu schützen.

1. Das Infektionsschutzgesetz gilt auch für obdachlose und wohnungslose Menschen mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus! [Anmerkung]

Deshalb sind alle Menschen, die ohne Obdach auf der Straße oder in Sammelunterkünften mit Gemeinschaftsbädern und/oder -küchen leben, krisenbedingt sofort in Wohnungen, registrierten Ferienwohnungen oder Businessappartments unterzubringen. Die Lagerpflicht für Geflüchtete muss sofort aufgehoben werden (vgl. § 49 Abs. 2 AsylG).
Falls diese Wohnungen und Appartements nicht ausreichen, sind die Menschen möglichst in Hotels mit Appartmentstruktur (individuelle Bad- und Küchenausstattung in Aparthotels), ggf. auch in Hotels mit Zimmern mit eigenem Bad unterzubringen, dabei muss eine niedrige Bewohner*innendichte pro Hotel gewährleistet werden.
Eine umfassende Versorgung ist sicherzustellen, dazu gehört im Bedarfsfall auch eine betreute Drogenabgabe. Für wohnungslose oder obdachlose Menschen mit Behinderungen müssen barrierefreie Ferienwohnungen, Businessappartments oder Hotels garantiert werden. Vorrangig müssen besonders vulnerable Personengruppen und Familien in Appartments untergebracht werden. Alle Unterbringungsformen müssen menschenwürdige und angemessene Qualitätsstandards mit Blick auf Ausstattung, Bausubstanz, Hygiene u.a. erfüllen und unter der Prämisse „Keine Profite mit der Not der Menschen“ angemietet werden.

2. Einzelunterbringung statt Mehrbettzimmer

Das Festhalten am Zusammenlegen nicht in einer Partnerschaft oder Familie zusammenlebender Personen in Doppel- und Mehrbettzimmern in der Corona-Krise verstößt gegen das Abstandsgebot. Alleinstehende dürfen daher nur in Einzelzimmern bzw. -appartments untergebracht werden. Dies schreibt auch der am 16.04.2020 veröffentlichte „Arbeitsschutzstandard COVID 19“ des Bundesarbeitsministeriums BMAS als Infektionsschutzmaßnahmen für Sammelunterkünfte ausdrücklich vor: „Grundsätzlich ist eine Einzelbelegung von Schlafräumen vorzusehen. Eine Mehrfachbelegung von Schlafräumen ist grundsätzlich nur für Partner bzw. enge Familienangehörige statthaft. Es sind zusätzliche Räume zur frühzeitigen Isolierung infizierter Personen vorzusehen.“ [Beleg 3]

3. Individuelle Quarantänen statt Gesamtquarantänen

Wenn in Sammelunterkünften Quarantänemaßnahmen nötig werden, dann sind diese stets als individuelle Einzelquarantänen für Erkrankte und ihre identifizierten Kontaktpersonen in abgeschlossenen Wohneinheiten und Appartments zu realisieren. Zwangs-Quarantänen für komplette Unterkünfte sind unbedingt zu vermeiden, weil sie die Ausbreitung des Virus noch befördern können, statt sie zu begrenzen. Es ist nach § 30 IFSG auch rechtlich unzulässig, Kranke, Ansteckungsverdächtigte und Gesunde gemeinsam in einer Sammelunterkunft für Flüchtlinge unter Quarantäne zu stellen. [Beleg 4] Siehe dazu ausführlich das Positionspapier des Flüchtlingsrates Berlin, „Infektionsschutz und Quarantänemaßnahmen für Geflüchtete in Sammelunterkünften menschenrechtskonform umsetzen“ [Beleg 5]

4. Kältehilfe übergangsweise fortführen

Kältehilfe ist für Zeiten der Pandemie ungeeignet. Die Kältehilfe ist aber als Notlösung so lange weiter zu führen und zu finanzieren, bis die Menschen in Wohnungen, Appartments oder zumindest Hotels untergebracht werden können. Dabei gilt: Die Einrichtungen müssen auch tagsüber offen stehen und den Corona-bedingten Verhaltensregeln angepasst werden. Besondere Teilgruppen (Frauen, Menschen mit Hund, Familien, Alkohol- und Drogenabhängige, psychisch Kranke und Behinderte usw.) sind dabei zu berücksichtigen. Mitarbeiter*innen der Kältehilfe sollen bei der Umsetzung der Vorschläge eingebunden und auch bei veränderten Angeboten weiter beschäftigt werden.

5. Schutz von obdachlosen und wohnungslosen Menschen mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte und Mitarbeiter*innen sicherstellen

Auch Haupt- und ehrenamtlich Arbeitende in den Einrichtungen müssen geschützt werden. Das betrifft die Ausrüstung mit Desinfektionsmitteln und Schutzkleidung, die Aufklärung über Gefahren sowie der Schutz vor Überlastung. Eine angemessene Bezahlung ist zu gewährleisten.

6. Rahmenbedingungen schaffen

Senat und Abgeordnetenhaus müssen die Finanzierung dieser Maßnahmen sicherstellen (Rettungsschirm für wohnungslose Menschen) und soweit nötig die rechtlichen Voraussetzungen schaffen. Die Sozialsenatorin muss zusammen mit den Stadträt*innen der Bezirke, den Trägern der Wohnungslosenhilfe und Trägern der Unterbringungen von Geflüchteten die inhaltliche Koordinierung übernehmen und die erforderliche sachliche, räumliche und personelle Ausstattung bereitstellen.
Wir sind uns der unterschiedlichen Zuständigkeiten im Land Berlin bewusst. Allerdings ist die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales und Integration für die Lenkung und Führung zuständig – insbesondere in der Krise. Die Bezirksämter mit ihren Verwaltungen sind in einer ausführenden Position. Die Verantwortung, ein Soforthilfeprogramm zu entwickeln und umzusetzen, darf nicht auf die Bezirke abgewälzt werden.
Die von SenIAS seit zwei Jahren vorbereitete „Gesamtstädtische Steuerung zur Unterbringung wohnungsloser Menschen“ muss unverzüglich umgesetzt werden. Schon Im r2g-Koalitionsvertrag von 2016 wurde die Entwicklung einer gesamtstädtischen Steuerung zur bedarfsgerechten Unterbringung von Wohnungslosen unabhängig von ihrer Herkunft als Richtlinie des Regierungshandelns vereinbart. [Beleg 6] Um Qualitätsstandards sicherzustellen und schneller und effizienter auf Notsituationen hinsichtlich der Unterbringung reagieren zu können, sollte das zentrale Belegungsmanagement bei der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales liegen. Der im Juni 2018 gefasste Senatsbeschluss [Beleg 7] ist bis heute nicht realisiert worden. Die Planungen der Arbeitsgruppe sind laut Zeitplan längst abgeschlossen. Die sofortige Umsetzung ist als Krisenmaßnahme überfällig.

7. Krisenstab einrichten zur Umsetzung von Hilfemaßnahmen

Die Sozialsenatorin muss jetzt einen Krisenstab einberufen, um die notwendigen Maßnahmen mit Bezirksbürgermeistern, Sozialstadträten und LAF abzustimmen. Träger der Wohnungslosenhilfe, der Unterbringungen von Geflüchteten, Wissenschaftler*innen, und Initiativen und Gruppen der Selbstvertretung Wohnungsloser mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte sollen zur fachlichen Unterstützung hinzugezogen werden. Ziel soll es sein sich über die Lage, die Probleme und den Hilfebedarf zu informiert, schnell geeignete Lösungen im Sinne unseres Positionspapiers umzusetzen und dabei transparent und öffentlich zu agieren.

8. Lösungsstrategien entwickeln

Auch unkonventionelle und unübliche Lösungsstrategien zum Schutz der Menschen sollen aufgenommen, geprüft und bei Eignung vorbehaltlos umgesetzt werden. In der „Nacht der Solidarität” Ende Januar 2020 waren mehrere tausend Menschen eingebunden. Diese Bereitschaft zum Engagement könnte reaktiviert werden.

9. Problembewusstsein und Transparenz bei den Einrichtungen

Von Problemen in den Einrichtungen haben wir erst durch Hilferufe der dort Untergebrachten erfahren. Daher fordern wir: Träger, Einrichtungen, Projekte der Wohnungslosenhilfe dürfen Probleme nicht verschweigen, sondern müssen regelmäßig und transparent über die Umsetzung der Corona-Regeln, auftretende Probleme und benötigte Unterstützungsbedarfe berichten.

10. Berichterstattung zur Lage der obdach- und wohnungslosen Menschen mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte in Berlin

Wir benötigen eine regelmäßige, wöchentliche koordinierte und transparente Berichterstattung des Senats und der Bezirke zur Situation obdachloser und wohnungsloser Menschen mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte angesichts der Corona-Pandemie.

Recht auf Wohnen - Bezahlbare Wohnungen für alle

Unsere grundlegende Forderung nach angemessenen und bezahlbaren Wohnungen für alle bleibt davon unberührt. Sie muss während und nach der Krise umgesetzt werden, denn eine eigene Wohnung ist ein Menschenrecht und notwendige Voraussetzung der Gesundheitsvorsorge.

Der Regierende Bürgermeister fordert von den Berliner*innen: „Jetzt geht es darum, zusammenzustehen und diese Krise gemeinsam zu bewältigen.“ [Beleg 8]
Wir sagen: Das gilt auch für obdachlose und wohnungslose Menschen mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte! Seien Sie solidarisch!

3. Autor*innen

Mitgewirkt an diesem Positionspapier haben neben der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen Vertreter*innen folgender Organisationen und Initiativen (alphabetisch): AK Wohnungsnot, Berliner Obdachlosenhilfe, Bündnis Solidarische Stadt, Flüchtlingsrat Berlin und We’ll Come United Berlin und Brandenburg.

4. Kontakt

  • wird noch bekannt gegeben

5. Unterstützer*innen (wird fortlaufend erweitert und ergänzt)

Anmerkungen

  • Anmerkung zu #LeaveNoOneBehindNowhere: Unser Bündnis ist solidarisch mit den Geflüchteten in den unmenschlichen Lagern an den europäischen Außengrenzen die sofort evakuiert werden müssen. Dort wie hier kämpfen wir für das Recht auf Gesundheit und Wohnen für alle Menschen.

  • Anmerkung: Es geht um den praktischen Schutz aller Menschen, die hier leben, arbeiten und soziale Netzwerke haben. Bei allen von uns geforderten Lösungen muss sichergestellt sein, dass im Zuge der Unterstützung kein akutes oder zukünftiges Risiko der Verfolgung oder Abschiebung entsteht. Von einer Überprüfung des Aufenthaltsstatus und einer Ausweispflicht ist daher abzusehen.

#LeaveNoOneBehindNowhere

7. Wo bleibt der Rettungsschirm für diese Menschen?

Sie warten seit 5 Wochen.
Beispiele für ein oft verfehltes Krisenmanagement

Erstaufnahmeeinrichtung Charlottenburg
Am 10. März wurde eine im Auftrag des Berliner Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) vom DRK betriebene Unterkunft für 135 Asylsuchende in einem ehemaligen Hotel in Charlottenburg vollständig unter Quarantäne gestellt. Die Bewohner*innen wurden – wie in Erstaufnahmeinrichtungen üblich - zu Abschreckungszwecken nach § 47 AsylG iVm § 3 AsylbLG mit „Vollverpflegung“ versorgt. Das Essen gab es in einem Speisesaal, wo es zu Kontakten der Bewohner*innen untereinander kam, was als Begründung für die Gesamtquarantäne diente. Alle Bewohner*innen durften während der Quarantäne ihre Zimmer, die über individuelle Bäder verfügten, nicht mehr verlassen. Es wurde täglich Fertigessen geliefert und vor die Zimmertür gestellt. Nach 14 Tagen wurde die Quarantäne aufgehoben.

Tempohome Treptow-Köpenick
Am 17. März wurde wegen zwei infizierter Personen für eine im Auftrag des LAF betriebene Unterkunft mit über 200 Bewohner*innen vom Gesundheitsamt des Bezirks eine Gesamtquarantäne angeordnet. In dem „Tempohome“ bilden jeweils 3 Container ein 40 m2 großes Appartement mit Dusche, WC, Kochnische und Schlafräumen für zusammen bis zu 4 Personen, so dass ansich eine Quarantäne der konkret betroffenen Appartements (einschließlich der Kontaktpersonen) ausgereicht hätte.
Die Bewohner*innen erhielten vom LAF ein Schreiben, dass sie „bis auf weiteres“ unter Quarantäne stehen. Einen Quarantänebescheid des Gesundheitsamtes zu Grund und Dauer der Quarantäne bekamen sie nicht. Wegen mehrfacher Wechsel der Teams erhielten die Bewohner*innen kaum Beratung und Unterstützung etwa bei der Benachrichtigung ihrer Arbeitgeber und der Beantragung von Sozialleistungen. Mundschutz gab es weder für die Bewohner*innen noch für das Personal.
Nach einer Woche ließ das LAF auf Anordnung des Gesundheitsamts Marzahn-Hellersdorf mit Polizeigewalt weitere erkrankte Personen in die Unterkunft verbringen. Die Bewohner*innen protestierten lautstark. Sie befürchteten nicht zu Unrecht, dass das LAF hier ein auf Dauer unter Quarantäne stehendes Lager etablieren wollte. Nach kritischen öffentlichen Nachfragen änderte das Gesundheitsamt nach 15 Tagen den Quarantänemodus. Obwohl es weiter positiv getestete Bewohner*innen gab, wurde die Quarantäne nunmehr auf die konkret betroffenen Appartements beschränkt.

Erstaufnahmeeinrichtung Marzahn-Hellersdorf
In einer im Auftrag des LAF von der „Volkssolidarität“ betriebenen Flüchtlingsunterkunft kam es nach Verhängung einer Quarantäne für alle 270 Bewohner*innen zu massiven Protesten der Bewohner*innen und zu Feuerwehr – und Polizeieinsätzen. Nach Presseberichten waren Papierhandtücher auf der Toilette angezündet worden. Wegen der Rauchentwicklung wurde das Gebäude für einige Stunden evakuiert.
Die verunsicherten und in Panik geratenen Bewohner*innen befürchten die weitere Ausbreitung der Erkrankung in der für eine Quarantäne offenkundig ungeeigneten Unterkunft. In der Erstaufnahmeeinrichtung gibt es Vollverpflegung, die BewohnerInnen müssen sich Gemeinschaftssanitäranlagen teilen. Auch hier fehlten Quarantänebescheide sowie Informationen in einer für die Bewohner*innen verständlichen Sprache und Form.

Flüchtlingsunterkünfte in weiteren Berliner Bezirken
In mehreren weiteren Flüchtlingsunterkünften gab es beim Personal oder Bewohner*innen Corona-Fälle. Grundsätzlich positiv hervorzuheben ist, dass die zuständigen Gesundheitsämter sich dort darauf beschränkten, nur das bzw. die betroffenen Appartements unter Quarantäne zu stellen, einschließlich der jeweiligen Kontaktpersonen.
In mehreren Unterkünften mit Gemeinschaftssanitäranlagen wurde hierzu ein separater Flurbereich freigemacht, um eine Quarantäne mit eigenem Wohn- und Sanitärbereich zu ermöglichen. In einigen Fällen waren diese Maßnahmen allerdings auch unzureichend, weil keine hinreichend konsequente Separierung des Quarantänewohnbereichs stattfand.

In einem Fall wurden vierzig „Kontaktpersonen“ aus einer Erstaufnahmeinrichtung mit Gemeinschaftssanitäranlagen in deb hierzu abgetrennten Bereich eines Tempohomes in einem anderen Bezirk verlegt, um eine Gesamtquarantäne für die Erstaufnahmeinrichtung zu vermeiden. Auch hier gab es keine Quarantänebescheide, auch hier wurden die Menschen nicht über die Dauer der Maßnahme informiert. Mundschutz und Hygieneartikel stellten LAF und Gesundheitsamt weder für die Bewohner*innen noch für das Personal zur Verfügung.

Ankunftszentrum Reinickendorf
Im Ankunftszentrum Reinickendorf (AkuZ) und dessen Außenstelle in Pankow wird seit einigen Wochen durch das LAF für neue Asylantragsteller eine "Ankunftsquarantäne" praktiziert: Die Asylsuchenden werden ausnahmslos dazu verpflichtet, sich für 14 Tage nachts im Ankunftszentrum in Mehrbettzimmern mit Gemeinschaftssanitäranlagen und Vollverpflegung aufzuhalten. Die bisherige Praxis des LAF, Personen von der Wohnpflicht auszunehmen, die in Berlin privat bei Verwandten oder Bekannten unterkommen können, wurde aufgehoben. Auch Risikopersonen mit schweren Vorerkrankungen müssen trotz privater Wohnmöglichkeit im AKuZ nächtigen. Ein Corona-Test erfolgt bei Ankunft und während der „Ankunftsquarantäne“ nur, wenn Symptome vorliegen.

Quarantäne-Unterkunft Pankow
In einem stillgelegten Tempohome in Pankow hat der Träger „Albatros“ im Auftrag des LAF eine zentrale Quarantäne-Unterkunft eröffnet. Sie soll für positiv getestete Geflüchtete genutzt werden, die keine Krankenhausbehandlung benötigen, und für ihre unmittelbaren Angehörigen als Kontaktpersonen, vgl. PM SenIAS vom 30.03.2020 www.berlin.de/sen/ias/presse/pressemitteilungen/2020/pressemitteilung.913584.php
Dort sollen voraussichtlich auch Geflüchtete eingewiesen werden, die gegen Quarantäne-Auflagen verstoßen haben. Viele Fragen sind im Zusammenhang mit der geplanten Inbetriebnahme der Quarantäneunterkunft klärungsbedürftig. Dazu gehört auch die Prüfung möglicher Alternativen.

ASOG Unterkunft Berlin-Neukölln
Seit 08.04.2020 steht eine Unterkunft des Internationaler Bundes (IB) mit 400 deutschen, ausländischen und geflüchteten Wohnungslosen auf Anordnung des Gesundheitsamtes Neukölln unter Vollquarantäne. Kein*e Bewohner*in darf das Haus verlassen. Auch nicht jene Haushalte, die in den 22 Familienapartments der Unterkunft leben. Einkäufe für die Bewohner*innen werden über ehrenamtliche Helfer*innen organisiert. Auf drei der fünf Etagen soll es bis zu fünf Erkrankte geben, die in einem Appartement separiert worden seien. Dabei ist nach § 30 Infektionsschutzgesetz eine gemeinsame Quarantäne für Gesunde, Kranke und Kontaktpersonen in einer Unterkunft unzulässig, diese sind vielmehr voneinander zu separieren. Eine Vollquarantäne kann zur Ausbreitung der Erkrankung innerhalb des Hauses beitragen, statt sie zu begrenzen, zumal es dort für die Mehrzahl der Bewohner*innen nur Gemeinschaftssanitäranlagen und -küchen gibt.  Vor dem Ende der vorerst bis zum 22.04. verfügten Quarantäne werden zwar alle Mitarbeiter*innen, aber nicht auch die Bewohner*innen getestet.

Jugendherberge Berlin-Tiergarten – kein Rückzugsort für Obdachlose?
Auf Veranlassung der Senatssozialverwaltung werden seit drei Wochen in den 100 Zimmern der Jugendherberge des Deutschen Jugendherbergswerk (DJH) 200 Obdachlose untergebracht. Im Prinzip ist die Anmietung einer Jugendherberge in Krisenzeiten eine gute Idee. Allerdings erfüllt die Umsetzung mehrere Kriterien nicht, die notwendig sind, um das Infektionsrisiko bei obdachlosen Menschen wirksam zu senken.
Träger der Unterkunft ist die private Firma Tamaja. Alle Bewohner*innen müssen tagsüber von 10 bis 18 Uhr sich außerhalb ihrer Zimmer aufhalten. #stay home ist folglich nicht möglich. Die Menschen dürfen sich in der Zeit auf dem Innenhof aufhalten. Am Morgen gibt es einen Reservierungsprozess und am Abend einen Check-In für alle. Dabei kommt es zu Ansammlungen und Enge zwischen Bewohner*innen und auch zu den Mitarbeiter*innen, die beim CheckIn keine Masken trugen. Zudem ist diese Jugendherberge nicht barrierefrei. Das DJH hat in seinem Portfolio zwei Jugendherbergen mit barrierefreien Zimmern (Ostkreuz und Wannsee).
Die Sozialsenatorin hatte öffentlich angekündigt, die Jugendherberge werde ein Rückzugsort für Obdachlose mit dauerhaften Plätzen “24/7” sein.  Dass die Menschen tags ihre Zimmer verlassen und jeden Abend neu einchecken müssen ist nicht nachvollziehbar. Des weiteren haben wir hier mit 200 Menschen eine Massenunterkunft, die vom Konzept her eine Art Kältehilfe plus darstellt, aber keineswegs - wie der Tagesspiegel behauptet - ein „Unterbringungswunder“ ist. https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/200-menschen-in-coronavirus-obhut-das-grosse-berliner-obdachlosen-unterbringungs-wunder/25743588.html.
Seit der Eröffnung am 30.03. sind 3 Wochen vergangen. Berlin hat tausende Menschen, die weiterhin auf der Straße leben müssen.

Unterbringung für Obdachlose in Lichtenberg kommt nicht zu Stande
Die 200 Plätze in der Jugendherberge in Tiergarten sind offenkundig völlig unzureichend. Ein von der Sozialverwaltung geplanter zweiter Standort in Lichtenberg kommt laut Pressesprecher von SenIAS nicht zu Stande, weil sich dafür keine Sozialarbeiter*innen finden. Nach einem Aufruf des AK Wohnungsnot zur Behebung dieses Personalmangels, haben sich innerhalb von wenigen Stunden 17 Sozialarbeiter*innen bei SenIAS beworben. Auf die mehrfache Bitte des Flüchtlingsrates um Zusendung der entsprechenden Stellenangebote zwecks weiterer Verbreitung, und auf Fragen nach Vergütungsgruppe, Gefahrenzulage und Schutzkleidung antworte SeniAS jedoch nicht.
Nunmehr erklärte der Träger GeBeWo, das Personal sei vorhanden, die Inbetriebnahme der in einem Bürogebäude geplanten Unterkunft scheitere derzeit aber an Fragen des Brandschutzes und der ungeklärten Finanzierung. Zudem ist nicht geklärt, ob es sich beim Personal um das der Notunterkunft handelt, die GeBeWo dort bereits seit November 2019 betreibt. Außerdem fragen wir uns, warum in einer Krisenzeit auf ein Bürogebäude zurückgegriffen wird, wo die Inbetriebnahme u.a. an Fragen des Brandschutzes scheitert.

Kältehilfe wird ersatzlos eingestellt – obdachlos ab 1. Mai
Zahlreiche Notübernachtungen der Berliner „Kältehilfe“ schließen zum 01.05.2020. Frauen aus Winternotübernachtungen berichten, dass sie derzeit intensiv versuchen, sich anderweitig  Schlafplätze zu organisieren – leider erfolglos. Viele klagen, dass sie trotz Corona ab 8 Uhr auf die Straße geschickt werden und erst ab 18 Uhr zurück in die Unterkunft dürfen. Ab Mai haben sie gar keinen Ort mehr um unterzukommen. Im Kontext von Corona ist es unverständlich, dass keine Weiterfinanzierung der bestehenden Unterkunftsstrukturen existiert. Dabei ist zugleich zu prüfen, wie die Form der Unterbringung geändert werden kann, da es in der Kältehilfe meist nur mit vielen Personen belegte Schafräume gibt. Betroffen sind unter anderen eine Frauennotübernachtung in Kreuzberg (Träger Sozialdienst katholischer Frauen e.V. (SKF) und eine in Tiergarten (Träger AWO-Mitte).
Problematisch an der Schließung der Unterkünfte für Frauen* ist weiterhin, dass diese keinen ´Schutzraum finden, den bspw. die Ehrenamtlichen der Kältehilfe in Tiergarten versucht haben zu schaffen. Frauen* in der Unterkunft berichteten, dass sie froh sind, einen beständigen Ort zu haben, da sie die Stimmung auf der Straße als aggressiver empfinden. Die Frauen-Kältehilfe in Tiergarten passte die Öffnungszeiten an und die Unterkunft war 24/7 offen. Eine tägliche Versorgungsstruktur wurde von den Ehrenamtlichen etabliert und am Laufen gehalten. Es wurden keine neuen Frauen* aufgenommen, um das Infektionsrisiko für alle Beteiligten so gering wie möglich zu halten. Die Unterbringung kommt dem notwendigen Bedürfnis der wohnungslosen Frauen entgegen, einer Ansteckung soweit wie möglich auszuweichen. Viele Frauen* in der Kältehilfe sind nicht gemeldet bzw. haben einen unsicheren Aufenthaltsstatus. Das Wissen um eine defizitäre Gesundheitsversorgung aufgrund eines diskriminierenden Gesundheitssystems ist geteilte Erfahrung vieler wohnungsloser Personen. Wir möchten hier ausdrücklich auch auf den Offenen Brief aus der Frauen-Notübernachtung in Kreuzberg verweisen: Link zur Seite der Wohnungslosenselbstvertretung

Flüchtlingsunterkunft Potsdam
Eine infizierte Bewohnerin einer Flüchtlingsunterkunft in Potsdam, Träger IB, arbeitete im Potsdamer Klinikum, das sich bereits zu einem Herd für Corona-Infektionen entwickelt hatte. Die Geflüchtetenunterkunft mit 130 Bewohner*innen wurde unter Vollquarantäne gestellt. Das Gesundheitsamt ließ alle Bewohner*innen testen.
Neben der infizierten Familie sind elf weitere Personen der Unterkunft positiv auf das Virus getestet worden. Untersucht wurden 110 Bewohner und Mitarbeiter. Nur die positiv getesteten Personen blieben in der Unterkunft. Alle anderen wurden durch die Stadt Potsdam sofort in einem Hotel und in Wohnungen untergebracht. Vgl. https://www.pnn.de/potsdam/die-lage-in-potsdam-am-freitag-erneut-zwei-corona-tote/25733742.html

 

 

 

 

 

  • Stefan Schneider, Koordination Selbstvertretung Wohnungloser Menschen, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, 0177 7847 337
  • Dirk Dymarski, Selbstvertreung Wohnungsloser Menschen, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, 0178 9321 661 (ausschließlich per WhatsApp)
  • Nora Brezger, Georg Classen, Flüchtlingsrat Berlin, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, 030 22476311
  • We’ll Come United Berlin und Brandenburg, 0163 1601 783
  • Michael Stiefel, Armutsnetzwerk, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, 0176 4902 1237
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