der Selbstvertretung wohnungsloser und ehemals wohnungsloser Menschen

über die „verdeckte einfache Tatsache, dass die Menschen vor allen Dingen zuerst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion usw. treiben können“ (Friedrich Engels am Grab von Karl Marx)

Vorbemerkung

Auf dem Wohnungslosentreffen 2018 in Freistatt, Niedersachsen, haben wir – das sind um die 120 wohnungslose und ehemals wohnungslose Menschen aus dem deutschsprachigen Raum und etlichen Regionen Europas - uns getroffen, um in Arbeitsgruppen an einem politischen Programm zu arbeiten.

Wir möchten dieses Papier als ein erstes Ergebnis präsentieren und dazu sagen, dass es nur ein Anfang sein kann.

Grundsätze

Niemand ist froh, auf der Straße zu leben. Wohnungslos zu sein, bedeutet schutzlos zu sein.

Zu einem würdevollen Leben gehört würdevolles Wohnen! Unsere Gesellschaft braucht einen Mentalitätswandel hin zu mehr Solidarität! Die Verhältnisse, in denen Menschen leben, müssen gerecht gestaltet werden, was eine gerechte Verteilung der Güter und Chancen mit einschließt.

Fünf Themen sind zentral:

1. Forderungen für Soforthilfe

Das Leben auf der Straße ist eine Bedrohung für Leben und Gesundheit und des Menschen unwürdig. Hilfen und Unterstützung müssen unmittelbar zur Verfügung stehen.

Der Regelsatz an Sozialhilfe muss tabu bleiben für Zugriffe.

Wenn man auf der Straße lebt, hat man höhere Lebens(er)haltungskosten als in einer Wohnung. Deshalb fordern wir einen Regelsatzerhöhung für Menschen, die auf der Straße Leben.

Wohnungslose Menschen, die getrennte Eltern sind, müssen mit ihrem Umgangsrecht (-pflicht) jederzeit dem Kindeswohl gerecht werden können. Dazu gehört auch die Möglichkeit, das Umgangsrecht überhaupt ausüben zu können. Das Familienleben muss bei wohnungslosen Menschen, die Kinder haben, anerkannt werden. Möglichkeiten für kindgerecht Unterbringung, Sicherung der Bindungen und des Kontaktes sowie kompetente Unterstützung müssen geschaffen werden.

Hilfen für Obdachlose müssen bundesweit einheitlich sein.

2. Hilfe zur Selbsthilfe

Hilfe zur Selbsthilfe bedeutet, selbst losgehen und Druck zu machen, eigenständig zu recherchieren, eigene Ziele und Pläne zu entwickeln. Wir wollen die Mechanismen der Selbstentmündigung überwinden.

Unter Hilfe verstehen wir

  • Begegnung auf Augenhöhe
  • gezielte Unterstützung (z. B. Streetworker, Suchtberatung)
  • Ziele kontrollieren und neu erfassen

Selbsthilfe bedeutet, es selbst tun, sie gibt Ansporn und Motivation und ermöglicht Stolz, Zufriedenheit und Glück.
Vor der Selbsthilfe steht die Selbstfindung, danach die Findung von Gleichgesinnten. Selbsthilfe ist keine Selbstbedienung.

Um zur Selbsthilfe zu kommen, setzen wir uns eigene Träume, Wünsche und Ziele. Um an diese Ziele zu kommen, brauchen wir eine Starthilfe. Unserer Ziele sind das Fundament für eine bessere Zukunft, die Starthilfe aber auch. Wir brauchen zur Realisierung auch Unterstützung und finanzielle Förderung.

Nur wenn wir die Hilfe bekommen, die wir brauchen, sind wir auch wieder in der Lage zu geben und zu helfen. Das zu erreichen, macht uns alle stark.

3. medizinische Versorgung

Es gibt viele Gründe, warum medizinische Angebote von wohnungslosen Menschen nicht in Anspruch genommen werden. Angst, Scham, fehlendes Vertrauen, weite Entfernung, körperliche bzw. psychische Unfähigkeit, finanzielle Probleme, Sprachprobleme, fehlende Krankheitswahrnehmung, Suche nach einem Schlafplatz, organisatorische Gründe (Wo ist eine Arztpraxis, sorge um Besitz), Einhalten von Terminen, Verbot von Alkohol- und Drogenkonsum, mangelnde Kooperation, lückenhafte Vorerkrankungen, medizinische Amnesie, fehlende Kommunikation (Telefon / Internet) und zu guter Letzt der fehlende Ausweis. (siehe ETOS)

Um die medizinische Versorgung wohnungsloser Menschen zu verbessern, fordern wir:

  1. Wir fordern eine Krankenkasse für alle (Beispiel Kanada)
  2. Keine Behandlungsunterschiede zwischen Wohnungslosen und nicht Wohnungslosen
  3. Mehr Arztmobile für eine vor Ort Versorgung
  4. Bessere finanzielle Unterstützung der Hilfsorganisationen
  5. Kostenlose Medikamente durch z.B. Pharmafirmen, die solche an Verteiler wie Apotheken und Arztpraxen ausgeben.
  6. Einhaltung des hippokratischen Eides bei Ärzten und Krankenhäusern
  7. Vollständige Genesung in Krankenhäusern
  8. Nicht nur Akut- Versorgung, sondern auch Behandlung von chronischen Erkrankungen
  9. Bessere Versorgung von psychisch erkrankten Wohnungslosen

Wir verweisen auf Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetztes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ sowie auf Artikel 2, Absatz des des GG: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“

4. Konfliktlösungen

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass unser Alltag gekennzeichnet ist durch Konflikte und Gewalterfahrungen. Wir erleben uns häufig als „Fremde“ im eigenen Land, wir sehen jeden Tag, dass ein soziales Gefälle besteht, wir fühlen uns selbst oft überfordert und erleben Unzufriedenheit und Unverständnis, Aggressionen und Gewalt auch bei uns. Wir müssen lernen, einander auszuhalten und miteinander zu leben.

Auch wir selbst machen uns auf die Suche nach Bewältigungsstrategien, die helfen können, um den Auslöser abzupassen oder auf einen Konflikt zu reagieren.

5. Recht auf Wohnen und Wohnungsbau

Das Recht auf Wohnen muss im Grundgesetz verankert und praktisch umgesetzt werden. Leerstand muss enteignet und als Wohnraum zur Verfügung gestellt werden. Wir brauchen ein breites Bündnis für eine neue Wohnungspolitik.

In Bezug auf den Wohnungsnotstand sollen Jobcenter Kautionen ohne Darlehen übernehmen.

Auch für den erforderlichen öffentlichen Wohnungsbau gilt: Jeder von uns hat Fähigkeiten, die eingebracht werden können/ sollen, wohnungslose Menschen sollen in Bauvorhaben einbezogen werden.

Der Artikel 13, Absatz 1 des Grundgesetzes: Die Wohnung ist unverletzlich. Muss ergänzt werden: Jeder Mensch hat das Recht auf eine Wohnung.

6. weitere Forderungen

Es sollte in den Regierungen der Länder wie auch im Bund Obdachlosenbeauftragte geben und auch eine ausreichende Finanzierung für (den Aufbau) einer Selbstvertretung Wohnungsloser.

Freitag,27.07.2018
Beschlossen auf dem Plenum des Wohnungslosentreffens 2018 in Freistatt

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